Kritik von Bernward Hoffmann
zur LP/MC "Alles, was lebt"
Die
zumeist seit Jahren bekannten Songschreiber aus dem Bereich des "neuen
geistlichen Liedes", ich denke etwa an Peter Janssens, haben es nicht
allzu schwer, auch mit Hilfe eigener Verlage ihre Neuproduktionen bekannt zu
machen. Anders geht es da "ehrenamtlichen" Gruppen, die vorrangig
regional bekannt sind und ihre oft mühsam finanzierten Produktionen am
Rande von Konzerten und Veranstaltungen anbieten. Dabei gibt es eine Reihe
von Gruppen, die bereits seit vielen Jahren bestehen und ein wirklich professionelles
Niveau erreicht haben. Zu ihnen zählt die Frankfurter Band HABAKUK, auf
deren neueste Produktion aus dem Jahr 1989 ich mit dieser Besprechung aufmerksam
machen will.
HABAKUK hat mit der LP "Alles, was lebt" nach "Wasserspiegel" (1987)
die zweite Produktion in neuer Besetzung vorgelegt. Die Gruppe existiert in
wechselnden Besetzungen seit 1976 und sie war an sieben Plattenproduktionen
beteiligt. Sammelpunkt der Gruppe dürfte der Texter und Mitmusiker Eugen
Eckert sein. Er hat auch sämtliche Texte zu "Alles, was lebt" geschrieben.
Die hebräischen Schriftzeichen auf dem Plattencover führen etwas
in die Irre. Nicht die gesamte Platte, sondern zwei allerdings hervorstechende
Lieder haben unmittelbaren Bezug zum Judentum: "Wäre Gesanges voll
unser Mund" bezieht sich auf ein jüdisches Gebet zum Neujahrsfest
(Nischmat chol chaj - Alles, was lebt). Und "Endstation" erinnert
an Auschwitz/Birkenau: "Vier Millionen Lebenstr1ume, viermillionenfach
vergast; vier Millionen Pflastersteine - ein Denk-mal an vier Millionen".
Dieses Stück prägt für mich nachhaltig den Höreindruck
der Platte. Nachdenklich beginnt die Musik mit Viola und Klavier. Eindringlich
dann das behutsame Arrangement mit Gitarren- und Perkussionseffekten, musikalische
Umsetzung schmerzhafter Schlagworte - "Zugeinfahrt - Endstation - Duschbefehl
- Rassenhass" - gipfelnd in dem unter die Haut gehenden Klageschrei "Vier
Millionen..."; leiser, requiemartiger Ausklang. Ein Thema, daqs kaum in
ein Lied umsetzbar scheint, (be-)treffend verklanglicht. Es folgt, vermutlich
sehr bewusst angeschlossen, ein Song mit einhämmerndem Schlagzeug: "Lasst
mich in Frieden wachsen...lasst mich aus Fehlern lernen".
Die Musik von HABAKUK bietet ein weites Formenspektrum: zwischen laut und leise,
von fast klassischen Klängen - nicht Synthesizer-Imitaten, sondern Geige,
Viola und Cello, etwa beim Schlusspsalm 139 "Von allen Seiten umgibst
du mich" - bis zu ausgefeilten Rock-Arrangements mit gut dosierten Chorsätzen.
Eugen Eckert verwendet in seinen Texten stimmige Sprachbilder, beherrscht harte
Provokation ebenso wie leise, vertrauende Gebetssprache. Und seine Texte sind
musikalisch, d.h. in der Vertonung nie holprig. Die Songs sind auch nicht nur
in Musik verpackte Sprachbotschaft, sondern die Musik hat ein hohes Maß von
Eigenständigkeit, etwa im Song "Denk ich an dich", einem mehr
als 5 Minuten-Titel, dessen Text nur 25 Worte umfasst. Für mich gehört
diese Platte zum Hörenswertesten, was die neue religiöse Musik in
letzter Zeit hervorgebracht hat - auch wenn nur wenige Songs sich als gemeinsame
Lieder eignen.