Uraufführung des Oratoriums »Emmaus« in
der Einhardbasilika Seligenstadt.
Es
war schlichtweg ergreifend, wie sich in Musik und Text ein 2000 Jahre altes
Ausflugserlebnis verwirklichen ließ zu einem »modernen« Oratorium.
In kaum einer anderen Stelle der Heiligen Schrift liegt so tief verankert das
Geschehen und die Heilsbotschaft von der Auferstehung Christi wie in dem scheinbar
belanglos nur bei Lukas erwähnten Erlebnis der Wanderung zweier Jünger
nach Emmaus. Doch in dieser liebenswerten Erzählung, dem Evangelium des
Ostermontags, liegt soviel Zentrales des christlichen Glaubens.
Dies hat zwei Kirchenmusiker angeregt, in kongenialer Zusammenarbeit eine Passions-
und Auferstehungsgeschichte in Form bekannter Oratorien zu schaffen, aber von
Szenerie und Libretto in ganz neuer Art. Eugen Eckert von der Hochschule für
Musik, Frankfurt, als Librettist und Thomas Gabriel, Regionalkantor an der
Einhardbasilika Seligenstadt, als Komponist und Dirigent faszinierten eben
am Ostermontag mit ihrem ausdrucksstarken Werk »Emmaus«.
In zwei Aufführungen, um der großen Nachfrage gerecht zu werden,
erlebte die Basilika eine in allen Ausdrucksformen geistlicher Musik verhaftete
und emotional beseelte atemberaubende Auslegung christlicher Frohbotschaft.
Der Projektchor Emmaus (aus verschiedenen Chören ausgewählt), das
Instrumentalkollegium aus dem Ratinger Bachorchester, eine Band und treffliche
Gesangssolisten sorgten für den nachhaltigen Eindruck unter der souveränen
Leitung Thomas Gabriels.
Aus einer neuen, sehr persönlichen Perspektive wird die Emmaus-Geschichte
erzählt und ausgelegt. Die beiden Jünger sind hier Kleopas, der enttäuscht
ist, dass der erwartete politische Umschwung durch Jesus als Revolutionär
nicht stattgefunden hat, und Thekla, die in weiblicher Intuition das Wirken
Jesu in Nächstenliebe als Erfolg betrachtet und auf Hoffnung setzt. Im
Gespräch der beiden ergibt sich, wie sie Jesus kennengelernt haben und
was Jesus erleiden musste. Diese Geschehnisse werden jeweils rückblickend
eingefügt, während ein Fremder sich den beiden angeschlossen hat.
Er mischt sich erst kurz vor dem Ziel Emmaus ins Gespräch ein und wird
als der »Meister« beim Brotbrechen erkannt.
Sechs »Bilder« werden durch die Worte des Evangelisten miteinander
verknüpft. Die lyrisch hochwertigen Texte sind sehr einprägsam in
bildlicher Sprache und durch kurze prägnante Sätze der Musik angepasst.
Diese umfaßt eine große Bandbreite von polyphoner Strenge über
romantische Klangmalerei bis zum fetzigen Rock. Warme Streicherintermezzi,
gastfreundliche Klezmermusik, traurige Saxophonlieder, drohende Schlagzeugwucht,
spottendes Xylophon und Glockenwerk sowie triumphierende Trompete untermalten
oder verbanden den exzellenten Gesang des Chores. Äußerst wandlungsfähig
gestaltete der seine Rollen vom mitfühlenden Kommentator des Leidensweges
bis zum Hohn und Sadismus vergreifenden Schergenpack. Sauber in der Artikulation
vom lyrischen Erzählen über rhythmisierten rezitativen Chorstil,
den ergreifenden Choral bis hin zum Wehgeschrei auf Golgatha und den triumphalen
Halleluja - Jubel zur Auferstehung bewies der Chor seine Klasse.
Die Ausschöpfung des Textgehaltes, die Intonationsfestigkeit und die ungeheure
dynamische Differenzierung ließen den Zuhörer das ausführliche
Textheft oft vergessen und zwangen ihn, nur zu lauschen. Denn die Musik in
den erregenden Phasen der Handlung war erfüllt von einem stürmischen,
das Publikum attackierenden Ausdruckswillen, der ohne den Umweg sakraler Stilisierung
dem Passions- und Ostergeschehen unmittelbare lebendige Gegenwärtigkeit
verlieh.
Dazu trugen auch die Gesangssolisten bei, von denen der stimmgewaltige Bariton
von Stefan Müller-Ruppert als Kleopas und im Kontrast dazu die angenehme
herzlich warme Mezzosopranstimme von Beate Heitzmann als Thekla hervorgehoben
werden müssen. Erstaunlich war, dass nach dieser atemberaubenden Aufführung
und anhaltendem Beifall das Ensemble sich mit einer Wiederholung aus »Das
leere Grab« und deren Kernaussage verabschiedete: »Will ich der
Liebe trauen und will’s mit Glauben wagen!«