Seit über zwanzig Jahren wird in Deutschland mit Sacro-Pop religiöse Musik
geboten
Ganz
erschöpft kommen Udo Jesberger und die sechs weiteren Mitglieder der Musikband „Gethsemane“ vom
Familientag zurück. Mit Ringen unter den Augen entladen die sieben Musiker
den Kleinbus in ihrer pfälzischen Heimatgemeinde Böhl-Iggelheim.
Der Wagen ist vollgepackt mit Musikgerät aus Kabeln, Kisten und Keyboards. „Nach
zwei Tagen kann auch Sacro-Pop anstrengend sein“, gesteht Jesberger ein, „aber
Spaß gemacht hat es trotzdem.“ Auf dem Familientag in ihrem Dekanat
Speyer waren die Sacropoper gewissermaßen „im Auftrag des Herrn
unterwegs“: Sie spielten ein Kinder-Musik-Programm, gaben ein Konzert
und offenes Singen. „ Wir wollten Freude vermitteln, aber auch Finger
auf Wunden legen und keine „Wir-haben-uns-alle-lieb-Musik“ spielen.
Und ich glaube, das ist uns gelungen“, resümiert Bandleader Jesberger.
Die Wunden, die der 30jährige Pfarrer meint, beschreibt er in einem selbstkomponierten
Liedtext: „Reif ist die Zeit für Frieden und Gerechtigkeit. Zeit
war genug für Bomben und Raketenflug, für tausend Kriege ohne sieg,
wie lange noch soll das so weitergehen.“
Ein
politischer Text, eine Aufforderung zum Umdenken, ganz ohne Frömmelei.
Typisch für die Gruppe „Gethsemane“, die seit zwölf Jahren
mit unterschiedlicher Besetzung in kirchlichen Räumen und innerhalb der
Kirche spielt. Dabei fühlen sich die sieben Pfälzer ihrem Gründungsanlaß,
dem sogenannten „Heißen Herbst 1983“, mit der damaligen Debatte
um eine weiter Raketenstationierung verbunden. „Da wollten wir ein Zeichen
setzen, um den Menschen von dem Weg der Liebe in Liedern zu erzählen“.
Erinnert sich Jesberger: „Wir waren in Ludwigshafen in der evangelischen
Jugendarbeit aktiv, wollten mitreden und machten Musik in Gottesdiensten.“ Doch
moderne Rhythmen mit politischen Texten stießen nicht überall auf
Gegenliebe. „Die Kirchenleitungen monierten bei dieser Musik einen Mangel
an Frömmigkeit. Die wollten eher Getragenes. Gut abgehangen und nicht
zu aufmüpfig. Und die Kirchenmusiker denken oft in klassischer Choralmusik,
wenn es in den Gotteshäuser tönen soll“.
Musiklehrer Berthold Engel aus dem badischen Remchingen kennt diese Vorbehalte.: „Viele
Kirchenmusiker sind reserviert, weil sie Sacro-Pop nicht beherrschen. Wir spielen
Ausdrucksmusik im sinne des Gefühls und nicht für den Kopf, doch
die Kirchenmusiker wollen Musik für den Kopf machen.“ Der 38jährige
Engel leitet die Formation „Die Brückenbauer“ mit 15 Sängerinnen
und Sängern und einer Bandbesetzung. Zusammen mit einem Schlagzeug, Elektro-Baß,
Gitarre, Piano, Keyboard, Flöte, Trompete und Saxophon will die Band die
Kluft zwischen ernster Kirchenmusik und zeitgenössischer Popmusik überbrücken.
Dafür haben sie sich der amerikanischen Gospelmusik verschrieben. Das
Besondere: Die Stücke auf ihrer gerade erschienen zweiten CD klingen wie
die Loblieder der amerikanischen Schwarzen, sind aber von Engel selbst geschrieben
und arrangiert. Stücke etwa wie „Keep me from falling down“.
In diesem Song wird Gott angerufen, dass er den Menschen vor dem Straucheln
im Lebensalltag bewahren soll, dass ein Leben in der Nachfolge Jesu täglich
neu gelebt werden muß, und daß das nicht immer gelingt. Und im
englischen Text heißt es weiter, dass der Herr nah ist, auch wenn man
ganz unten ist: „When i am down, He will be near, He’ll carry my
pain and fear“ (Gott trät meine Angst und Pein).
Das Stück fängt mit einem Keyboard langsam an, dann singt eine offene
und volle Frauenstimme die ersten Textzeilen, der Gospelchor folgt mit dem
Refrain. Nach einer rhythmischen Pause legt Christiane Engel, die Schwester
des Bandchefs, ein Saxophonsolo hin. Das Stück hat alles, was zum Popsound
dazugehört. Eigentlich könnte es ein Tophit von Whitney Houston sein,
ständig im Radio trällern und goldene Platten einheimsen. Und tatsächlich
ist dies in den USA keine Seltenheit: 1991 hielt sich Amy Grant mit ihrem christlich
angehauchten Titel „Heart in Motion“ wochenlang auf Platz Eins
der amerikanischen Hitparaden. Vier Millionen Mal ging der Titel über
die Ladentische. Die Vereinigten Staaten sind das Ursprungsland des Sacro-Pop,
der sich aus der Frühen Rock- und Beatmusik herausbildete und auf die
Gospels der schwarzen Arbeitersklaven zurückgreifen konnte. In Deutschland
führt der Sacro-Pop eher ein Nieschendasein. Daß dem so ist, liegt
nach Ansicht von Engel neben den innerkirchlichen Vorbehalten auch an den großen
Plattenfirmen. „Die wollen in erster Linie Geld machen und glauben nicht,
dass christliche Popmusik in Deutschland einen Markt findet.“
So
müssen die „Brückenbauer“ kleiner Brötchen backen.
Ihr jüngstes Konzert gaben sie auf den Brettener Musiktagen im Kraichtal.
Da waren sie für 1500 Mark Gage zu hören. Ein Betrag, der nicht einmal
die Reisekosten deckt. „Aber es ist in Ordnung, es ist unsere Mission,
unsere Messsage und kein Kommerz.“ , betont Engel.
Mit
vergleichbarem Idealismus ist seit zwanzig Jahren die Gruppe „Habakuk“ aus
dem hessischen Offenbach unterwegs. Zum Bühnenjubiläum hat die Band
ihre achte CD gepresst und sie „Unterwegs“ genannt. Im gleichnamigen
Lied ziehen sie musikalisch Bilanz: „Immer noch nicht etabliert, manchmal
lägst schon ohne Bock und doch heiß auf Pop und Rock“. Fast
wäre der Gruppe vor zehn Jahren die Luft ausgegangen. Ein Mitglied hörte
auf, doch die Lücke konnte geschlossen werden. Heute ist „Habakuk“ mit
zwei Frauen und sechs Männern auf Tour. Mit ihrem Bandnamen bezieht sich
die Gruppe auf den gleichnamigen Propheten im Alten Testament, der vor 2600
Jahren massive Sozialkritik übte. Diese Tradition fühlen sich die
Musiker verpflichtet. Die Gruppe vertont vorwiegend deutsche Texte aus eigener
Feder. Pfarrer Eugen Eckert ist Gründungsmitglied der Gruppe. Mit seinen
40 Jahren hat er die Hälfte seines Lebens für Habakuk gesungen und
getextet. Das Lied „Wo bist Du, Gott, gewesen in jener schlimmen Zeit,
als ohne Federlesens den Juden blühte Leid, der Mord kein Ende fand, und
selbst die ‚Christ’ sich nannten, erhoben ihre Hand“ ist
für Eckert das persönlich wichtigste Stück auf der neuen Scheibe. „An
die Verfolgung und Vernichtung der Juden während des Nazi-Terrors und
die jüngsten antisemitischen Verbrechen soll das erinnern“, verdeutlicht
Eckert.
Aber auch Trost und Zuversicht drücken die Liedtexte aus. Ein Lied hat
deshalb den Sprung ins neue Gesangbuch geschafft. Lidnummer 171 „Bewahre
uns Gott, behüte uns, sei mit uns auf allen Wegen“ ist der einzige
Titel aus dem Habakuk-Repertoire, der gewissermaßen die höheren
Weihen erhielt. „Das ist zwar ein bescheidener Erfolg, aber nicht das
Wichtigste. Wir wollen in erster Linie professionelle Musik machen, Lieder
also, die im Gottesdienst mit der Gemeinde gesungen werden können, aber
auch modern und poppig sind“, umschreibt dies Eckert und meint stellvertretend
für die Sacropop-Szene: „Musik, die leicht zu hören ist, vom
Glauben spricht und dabei nicht kitschig und lebensfern klingt.