I.
Am Morgen des 27. April 2003 starb Dorothee Sölle im Alter von 73 Jahren
auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll. "Gott und das Glück" war
das letzte Thema, zu dem sie gesprochen hat. Der Trauer- und Dankgottesdienst
für ihr Leben fand am 5. Mai in der Hauptkirche St. Katharinen in Hamburg
unter großer Anteilnahme einer aus aller Welt zusammengekommenen Gemeinde
statt. Anschließend wurde Dorothee Sölle auf dem Friedhof Nienstedten
beerdigt.
Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter sprach der Trauergemeinde aus
dem Herzen als sie ihre Predigt mit den Worten eröffnete: "Zwei große
Worte stehen über dieser Stunde: Der Tod und die Liebe. Der Tod hat eine
der großen Frauen unserer Zeit hinweggenommen: Dorothee Sölle. Mit
schnellem Griff hat er viele von uns zu Waisen gemacht: Wir, denen die lebendige,
prophetische und poetische Stimme dieser Frau schmerzlich fehlen wird."
Ihre Stimme fehlt uns, in der Tat. Meine Frau und ich haben sie am Karfreitag
zum letzten Mal gehört. Um unsere geplante Zusammenarbeit beim Ökumenischen
Kirchentag in Berlin präzisieren zu können, waren wir nach Hamburg
eingeladen. Zum Gottesdienst, dort sang Dorothee im Chor ihrer Kirchengemeinde
Bachchoräle; zu Fisch und Reis, zubereitet von Fulbert Steffensky; und
zum Gedankenaustausch.
Dorothee versprühte Lebenslust, erzählte von dem, was sie plante
und worauf sie sich freute: eine kleine Tournee, um aus ihren Gedichten zu
lesen; die Arbeit an ihrem neuen Buch, einer "Mystik des Todes" und
ihre Engagements für erweiterte Perspektiven der Ökumene beim Berliner
Kirchentag.
Ein Herzinfarkt hat diese Pläne durchkreuzt und dem Leben der wohl bekanntesten
deutschsprachigen Theologin ein Ende gesetzt. "Dorothee Sölle starb
mitten in der Osterzeit" so die Lübecker Bischöfin, "Welch
ein Widerspruch. Mit österlicher Lebensfreude atmet uns das Leben an.
Vögel bauen Nester, die Bäume stehen voller Laub. Die Frauen machten
sich an jenem ersten Ostermorgen auf den Weg und haben das leere Grab gefunden.
'Tod', so fragen wir empört, 'was hast du heute hier zu suchen?'...Überall
beginnt neues Leben - und sie stirbt. Kein Zeitpunkt im Kirchenjahr könnte
unpassender sein für diesen plötzlichen Abschied."
II.
Vor meinen Augen - ein Regalbrett voller Bücher. Es enthält längst
nicht alle, die sie geschrieben hat. Ich blättere darin und erinnere mich.
An Auseinandersetzungen um sie, als ich Dorothee noch gar nicht kannte: 1965
die "Stellvertretung", ihre provokative Absage an einen Glauben an
die Allmacht Gottes, hervorgegangen aus dem Nachdenken über das Grauen
von Auschwitz. 1968 die "Politische Theologie" mit dem Aufstehen
gegen den Vietnam-Krieg und Napalm-Einsätze, einhergehend mit der Erfindung
des "Politischen Nachtgebetes". 1979 die "Theologie der Befreiung",
inspiriert aus den Psalmen Ernesto Cardenals, in denen "Erlösung" mit "Befreiung" übersetzt
wird. Und zeitgleich, mit der Entdeckung des "anderen Amerikas",
auch die "Feministische Theologie", die sich für Schwarze, für
Frauen, gegen den Krieg einsetzt und die Bibel mit den Augen der Frauen zu
lesen beginnt.
1983 unsere erste persönliche Begegnung - im Kontext der gewaltfreien
Sitzblockade von Mutlangen. Heinrich Böll, Inge und Walter Jens, gehörten
mit Dorothee Sölle zu denen, deren
Friedensengagement mit Verhaftung und Verurteilung zu Haftstrafen geahndet
wurde. Solidarität wurde zum Anlass unserer Zusammenarbeit mit ihr, Luise
Schottroff und unserer Band HABAKUK - bei allen Deutschen Evangelischen Kirchentagen
und weit darüber hinaus. In Bibelarbeiten, Lesungen, in Vorträgen
und auch ihren Büchern suchte Dorothee, ihrer Hörer- und Leserschaft
in immer neuen Anläufen "das befreiende Evangelium von Jesus Christus,
dem demütigen Gott und armen Menschen von Nazareth und die lebendige Erfahrung
Gottes, der oder die oder das ihr, mystisch weit, immer stärker 'ohn'
Warum' wurde" nahe zu bringen".
Ich
dein baum
Nicht du sollst meine probleme lösen
sondern ich deine gott der asylanten
nicht du sollst die hungrigen satt machen
sondern ich soll deine kinder behüten
vor dem terror der banken und militärs
nicht du sollst den flüchtlingen raum geben
sondern ich soll dich aufnehmen
schlecht versteckter gott der elenden
Du hast mich geträumt gott
wie ich den aufrechten gang übe
und niederknien lerne
schöner als ich jetzt bin
glücklicher als ich mich traue
freier als bei uns erlaubt
Hör nicht auf mich zu träumen gott
ich will nicht aufhören mich zu erinnern
dass ich dein baum bin
gepflanzt an den wasserbächen
des lebens.
In: Loben ohne lügen, Dorothee Sölle,
Berlin 2000, S. 12
III.
Gehen zu können, wenn die Zeit dafür gekommen ist, gehörte im
Denken Dorothee Sölles zum Einverständnis mit dem Rhythmus des Lebens.
Sie fürchtete nicht das Sterben, viel eher eine Hightech-Medizin und ihre
Schläuche. "Wir sind nicht unendlich da...Das Leben ist sterblich
gemeint und gemacht - und wir sollten es nicht künstlich verlängern",
sagte sie in einem Gespräch mit Regine Hildebrandt.
Nun ist sie gegangen, aus der Arbeit, aus dem Leben heraus , mitten in der
Osterzeit. Wir, die noch eine Weile bleiben sollen, haben die Aufgabe, sie
loszulassen, voller Dank für das "wunderbare, reiche, schwere, konfliktreiche,
schöne Leben von Dorothee Sölle." Sie war eine Freundin - der
Liebe, des Lebens, der Musik. Sie war eine Freundin für viele Menschen,
bei weitem nicht nur in unserem Land.
Ihre Predigt in St. Katharinen schloss die Lübecker Bischöfin mit
den Worten: "Dorothee heißt: Geschenk Gottes. Sie war es, sie bleibt
es und die großen Hoffnungen, die sie trug, werden wir gewiss nicht mit
ins Grab legen. Versprochen."
Eugen Eckert
Die vollständige Predigt von Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter
ist zu finden unter: www.nordelbien.de - Nordelbien A-Z - Bischöfin Sprengel Holstein-Lübeck
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